Ich war die Tage mal auf einer Konferenz zum Thema Arbeit 4.0. Unternehmer und Unternehmerinnen trafen sich in Kiel, um zu schauen was so kommt die Jahre nach eins-, zwei und drei-null.

Seeleute in orange.

Neben dem interessanten Einführungsvortrag von Prof. Dr. Stowasser vom „Institut für angewandte Arbeitswissenschaften“  gab es Erfahrungsberichte oder Projektberichte laufender Arbeit 4.0-Projekte, die eigentlich eher klassische IT-Projekte waren. Als Sahnehaube..:Workshops. Gute Idee aber leider zu kurz.

Ich stand zum Schluss dann mal wieder da und dachte: „Setzen sechs, am Thema vorbei.“

Landauf und landab reden wir  nur über Randthemen der Arbeit 4.0, meist über Technik und Software. Das finde ich falsch, denn hier liegt die Gefahr, dass das wird das Thema verkennen. Es kann passieren, dass wir als Gesellschaft den Zug verpassen. Also möchte ich jetzt lehrmeistern.

Fangen wir gaaanz vorne an bei der Begrifflichkeit. Liest man die Wikipedia, dann gibt es tatsächlich eine Herleitung von Arbeit 1.0 zu 4.0. Das halte ich gleich mal für falsch aus mindestens zwei Gründen:

  • Wenn ich der Herleitung glauben darf, beginnt Arbeit (1.0) mit der Industrialisierung. Doch natürlich gab es Arbeit auch vor der ersten industriellen Revolution. Handwerk, Handel, Landwirt- und Raubritterschaft waren angesehene Betätigungsferlder. Die wären dann also Null-punkt-Null?
    Neee, neee, das kann ich nicht glauben.
  • Die Herleitung gibt aber schon die Antwort. Arbeiten 4.0 ist nur ein Begriff für die Maloche in der Industrie 4.0. Und „Industrie“ beginnt im 18. Jahrhundert mit der  industriellen Revolution (laufende Nummer 1.0). Davor gab es keine Industrie, nur Handwerk,  Handel, Bauern und Raubritter.

Es zeigt sich: Es ist halt immer blöd, wenn man Buzzwords im Nachhinein versucht einen Sinn zu geben.

Doch zurück zur Konferenz…

Jeder Branche ihren Disruptor

Arbeit 4.0

Eigentlich nur im Einführungsvortrag vom Herrn Professor wurden die aus meiner Sicht wirklichen Themen angeschnitten. Der Mensch und die Veränderung der Arbeitswelt. Ein bisschen schade, dass der Vortrag endete in Videos von Datenbrille und Mensch-Maschine-Kollaboration. Diese sind aber weder Problem noch Lösung des Themas sondern eher Symptom.

In Zukunft wird es viele Industrien und Märkte regelrecht zerfetzen. Disruptiv nennt man das. Als sciencefictionsozialisierter  Mensch mag ich das Wort ja. Die Automobilbranche, Logistikunternehmen und – wie ich lernen durfte – die Finanzwirtschaft wird es schwer treffen. Ich glaube das.

Autos sind kein Status mehr, teure Luxusschlitten braucht es nicht. LKWs fahren autonom und brauchen keinen Fahrer. Banken brauchen keine Filialen mehr und der Geldverkehr ist sowieso nur Software. Diese Branchen setzten dann hunderttausende gutbezahlter Menschen frei. Und nicht alle dieser Menschen lassen sich umschulen.

Die Mitarbeiter eines Unternehmens werden immer älter. Entsprechend der Alterspyramide werden nicht mehr ausreichend jungen Arbeitskräfte nachwachsen, auch in einem schrumpfenden Arbeitsmarkt nicht. Die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinkt bis 2050 von 45 auf 29 Millionen Personen. Wir könnten diesen Trend nur durch Zuwanderung abfedern. Satte 500.000 Menschen pro Jahr bräuchten wird da. Aber wir machen ja die Grenzen dicht.

„Ich geh eh‘ bald in Rente“ Direkt gekoppelt an den Arbeitskräfte sind die Rentensysteme. Wer in den kommenden Jahren verrentet, kann nicht ruhig schlafen. Es gibt dann zu wenig Einzahler in dem System.

Ein Arbeiten in der Firma bis zur Rente kann nicht jeder mehr erwarten.

Der mehrfache Wechsel des Arbeitgebers wird normal

In einem agilen Arbeitsumfeld wird es die großen monolithischen Unternehmen nur noch selten geben. Telefunken, AEG, Grundig und Neckermann sind nur noch ein Traum aus alter Vergangenheit. Neue Unternehmen werden kommen, wieder gehen oder gekauft werden. Bestehende Unternehmen werden sich neu erfinden müssen, wenn sie zukünftig erfolgreich bleiben wollen.

Warum? Weil nahezu alle Unternehmen heute an Technik und direkt oder indirekt Weltmarkt am hängen. Technik und Weltmarkt sind sehr schnelle Treiber.  Was heute nicht Dienstleistung des Menschen ist, ist morgen Software. Wer nicht bereit ist sich zu bewegen, der verrostet, vergeht.

Der dauernde Qualifikationswettbewerb nimmt noch zu

Das ständige Kommen und Gehen von Firmen ist gleichbedeutend für das Hin und Her der Arbeitsplätze.  Wir müssen uns öfter als zuvor um einen neuen Arbeitgeber kümmern. Und wir müssen dann unserem Arbeitgeber beweisen, dass wir es wert sind zu bleiben.  Kleine Unternehmen können es sich in Zukunft noch weniger leisten, weniger produktive, passive oder gar destruktive Mitarbeiter zu halten.

Was machen wir denn eigentlich in Zukunft mit Menschen, die nicht dazu bereit sind? RTL2 ist keine Antwort.

Es sieht also schlecht aus für „Kollege Raucherpause“. Aber Personalcoachs, Fortbildungsunternehmen und Arbeitsrechtler haben eine goldene Zukunft.

Arbeitsplätze in altersgerecht?

Da bin ich jetzt wohl mal Betroffener. Ich kann es nicht verleugnen. Ohne eine ständige Zuwanderung fehlen uns die Angestellten und Arbeiter. Das ist schlecht. Ohne eine ständige Zuwanderung geht das Rentensystem den Bach runter. Beides zusammen bedeutet: Rente mit 65, 67, 70 wird nicht mehr für jeden möglich sein.

Firmen brauchen die erfahrenen Mitarbeiter, finden sie doch kein Ersatz mehr. Und der Kollegen im Rentenbereich müssen länger arbeiten, will er nicht altersverarmuten.  So kommt das eine zum anderen, irgendwie eine tragische Bedarfs- und Nachfragesituation.

Die Arbeitsplätze müssten sich anpassen. Nicht der Defibrillator unterm Schreitisch ist die Antwort, sondern mobile, flexible und  altersgerechte Arbeitsplatzausstattungen sind es. Gleiches gilt für die Arbeitszeiten.

Arbeiten an verteilten Standorten und zu wechselnden Zeiten

Es wird immer schwieriger in physikalischen Standorten zu denken. Wie soll man Unternehmensstandorte aufbauen, wenn nicht man mehr sicher ist, wie viele Arbeitsplätze man heute, morgen, übermorgen braucht?

„From nine to five“ ist vorbei, wenn man als flexibler Jobhopper auch mal mehrere Arbeitsgeber hat. Der Projektmananger beim Kunden hat heute kaum noch einen Schreibtisch. In einem agilen Markt muss sich ein Unternehmen schnell anpassen können, Aufgaben neu verteilen, Mitarbeiter auf- und abbauen, die Teams schulen und entwickeln. Sie müsse dort hingehen wo die qualifizierten Mitarbeiter sind und dieser dort in die Unternehmen einbinden.

Kommunikationslösungen für verteiltes Arbeiten heterogener Teams gewinnen an Bedeutung. Mietlösungen für temporäre Arbeitsplätze (Coworkingspace, Shared Desks) finden sich heute schon in jeder Stadt.

Klassische Strukturen verhindern den Wandel

Dem deutschen Unternehmer ist die Struktur in die Wiege gelegt. Arbeitsgruppen müssen hierarchisch aufgebaut werden. Arbeit muss in Prozesse gekippt werden und Prozesse werden überwacht.  So geht das zukünftig nicht mehr.

Ich behaupte, dass moderne Unternehmen mit selbstorganisierenden Mitarbeitern erfolgreicher sind. Die Verantwortungen werden geteilt und die Aufgabenverteilung erfolgt gemeinschaftlich. Die Einzelmotivation eines jeden Angestellten zum positiven Arbeitsumfeld sorgt dann dafür, dass Aufgaben und Projekte viel besser und schneller erledigt werden. Die Gruppendynamik schafft  ein Verstehen für die Bedürfnisse der Kollegen und damit in direkte Folge mehr Verantwortungsbewusstsein. Unternehmer von morgen sollten mehr Verantwortung den einzelnen Mitarbeitern überlassen und weniger regeln. Du glaubst das nicht? Dann schau dir mal Apple, Google und Adobe an, wie die funktionieren…weltweit.

Eigenverantwortliche und ausgebildete Mitarbeiter in veränderlichen Strukturen sind der Erfolgsfaktor für Unternehmen in der extrem dynamischen Zukunftswelt von Industrie 4.0, Arbeit 4.0 oder whatever 4.0.

Macht das so!

Achso…und jeder Bürger braucht mindestens 1 Gbit/s symmetrisch, aber das ist ein anderes Thema.

Links vor rechts:

  • Arbeit 4.0 in der Wikipedia: Klick
  • Spiegel-Artikel zur Zuwanderung: Klick
  • Herr Professor: Klick